Gespräch in der Murtalbahn

Mitwirkende: Ein Vater, sein etwa zwölfjähriger Sohn und die „Kleine Zeitung“ (1).

Sohn: Du Papa, die Murtalbahn hat ja moderne Betonschwellen und ganz starke Schienen. Stimmt es, dass manche Politiker jetzt alles kaputt machen wollen? Ist das nicht dumm (2)?

Vater: Das ist raffiniert. Es bringt wenigen viel Geld und irgendwo anders ein paar Arbeitsplätze.

Sohn: Der Opa sagt, schon der Göring hätte versprochen, dass durch Normalspur ralles besser wird. Die Schmalspur ist ja an allem, was die Wirtschaftspolitik verpfuscht, schuld. So ein Sündenbock verleitet ja wirklich zu Fahrlässigkeit, Fehlleistungen (3) und Freunderlwirtschaft (4).

Vater (schaut sich erschrocken um): Kusch, so was sagt man nicht. Wir leben heute in einem Land, wo alles mit rechten Dingen zugeht, und nicht in irgendeiner Bonzokratie. Außerdem wollte der Göring die Bahn vom Pongau aus bauen. Der Anschluss nach Deutschland – auch per Bahn! Da wären genug Züge gefahren, dass sich der Betrieb lohnt.

Sohn: Wären die auch bei uns stehen geblieben?

Vater: Natürlich nicht. Die Nazis wollten ja nur durchfahren. Unsere Region ist doch allen wurscht.

Sohn: Schade.

Vater: Wir kriegen jetzt eh eine Schnellbahn. Der „Murdackel“ ist ja so langsam!

Sohn: Aber die Physiklehrerin hat uns vorgerechnet, dass die Umspurung Unzmarkt -Muraunicht einmal eine Minute bringt (5).

Vater: Blödsinn – die hat sich verrechnet.

Sohn: Gestern im Auto hab ich die Zeit Unzmarkt – Murau gestoppt: genau 26 Minuten. Der Zug fährt 36 Minuten und hat zehn Haltestellen. Aber die käufliche „Kleine“ schreibt immer, die Spurweite bremse die Murtalbahn (6). Wenn alle nachplappern, was in der Zeitung steht, ist das schwarze Magie?

Vater: So kann man´s auch nennen. Die ehrenwerte Gesellschaft ist schon verdammt verfilzt. Und wie die die Leut´ manipulieren, grenzt ans Braune. Aber schneller ist die Normalspur doch. Die fährt ja überall durch (7).

Sohn: Und wer soll damit fahren, wenn man nirgends einsteigen kann?

Vater: Na, die Schifahrer zum Kreischberg halt und die Snowborder und die Schibobfahrer und die … Jagateetrinker im Winter und … die …… Experten werden wohl wissen, was sie tun.

Sohn: Aber Papa, ist es wirtschaftlich, wenn man so „in die Bahn“ investiert, dass dann ja niemand mehr damit fahren kann?

Vater: Ich hab´ eh schon gesagt, da stehen die Wirtschaftskammerexperten dahinter, moderne Schildbürger halt. Im Physikunterricht haben´s wohl Karten g´spielt, und heut´ halten´s den Hausverstand für a Eigenmarke von Billa (8).

Sohn: Wirtschaftskammerexperten also. Verstehen die auch was von Wirtschaft?

Vater: Ob die was von Wirtschaft verstehen, weiß niemand. Und was sie unter Wirtschaft verstehen, werd´ ich dir hier, wo ´s alle hören, nicht sagen. Aber Geschäfte machen, das können´s!

Sohn: Welche Geschäfte denn?

Vater: Darüber spricht man nicht.


Anmerkungen zu: „Gespräch in der Murtalbahn“

1. Die „Kleinen Zeitung“ propagiert am 3. 6. 2014 unkritisch die Umspurungsphantasien der Wirtschafts-kammer. Darauf wird sie prompt auf zahlreiche Unstimmigkeiten hingewiesen 9. Sie setzt ihre Kampagne am 9. 5. 2017 also gegen besseres Wissen fort – angestachelt aus ÖVP-Kreisen. Mit themenfremder, suggestiver Bildwahl täuscht sie in evident geschäftsschädigender Weise vor, die Murtalbahn betreibe den regulären Personenverkehr mit langsamen Nostalgiezügen. Das ist unwahr: Erstens prägen pünktliche Triebwagenverbindungen mit prompten Fernanschlüssen den Betrieb. Auf Nostalgiefahrten entfällt nur ein Prozent aller Zugkilometer. Zweitens sind regulärer Verkehr und Nostalgiebetrieb strikt getrennt. Drittens entspricht der Reiseschnitt der Triebwagen dem eines Überlandlinienbusses. Und letztlich liegt das entscheidende Manko trotz aller Polemik nicht an der Geschwindigkeit (siehe Anmerkung 6).

2. Heute haben 80 Prozent der Strecke durchgehend verschweißtes Gleis. Das minimiert den Erhaltungs-aufwand und erlaubt hauptbahnähnliche Geschwindigkeiten – aber nur mit zeitgemäßer Sicherungstechnik.

3. Der Gewerbepark Murau soll laut Gemeinderatsbeschluss unter Bgmst. Thomas Kalcher (ÖVP) weit abseits des Siedlungsraums liegen – unerreichbar per Bahn und mit den von Murau ausgehenden Buslinien.

4. Zur Talstation Kreischberg sind es von der, eigens errichteten, gleichnamigen Bahnhaltestelle etwa 400 Meter. Die Lücke hätte im wirtschaftsfreundlichen steirischen Klima leicht durch Verlegen der Strecke geschlossen werden können. Doch die lokalen Tourismusmanager haben die Bahn als idealen Zubringer zu spät entdeckt. Jetzt ist das Areal mit Ferienwohnblocks verbaut. Da kann nur noch ein stumpf vor der Tal-station endendes Gleis eingefügt werden. Was liegt somit näher, als der dreiste Versuch, das regionale „Öffi“-System zugunsten der Partikularinteressen eines politisch gut vernetzten Saisonbetriebs zuzerschlagen?

5. Mittelwert der fahrdynamisch möglichen Höchstgeschwindigkeit bei 1 m/s2 freier Seitenbeschleunigung

Tab.1
Unveränderte Trasse Schmalspur: Überhöhung = 60 mm Normalspur: Überhöhung = 180 mm
Radius (m) Anteil (%) km/h km/h x % km/h km/h x %
90 0,52 45 0,23 50 0,26
150 3,80 55 2,09 65 2,47
180 4,24 60 2,54 70 2,97
200 13,04 65 8,48 75 9,78
225 0,05 70 0,04 80 0,40
250 0,55 75 0,41 85 0,47
300 5,85 80 4,68 90 5,27
325 0,43 85 0,37 95 0,41
375 0,55 90 0,51 100 0,55
400 4,80 95 4,56 105 5,04
500 4,50 105 4,73 120 5,40
600 2,15 115 2,47 (130) 120 2,58
1000 2,55 (150) 120 3,06 (170) 120 3,06
gerade 56,52 (unbegrenzt) 120 67,82 (unbegrenzt) 120 67,82
Insgesamt 100,00 rechnerischer Mittelwert 101,99 rechnerischer Mittelwert 106,48
realistischer Mittelwert d. Streckenhöchstgeschwindigkeiten 95 100

6. Reisegeschwindigkeit verschiedener Bahnen:

Tab.2
Bahn Spurweite Streckengleise Traktion Haltestellenabstand Reiseschnitt
Murtalbahn 760 mm 1 Diesel 1,95 km 40,4 km/h
Zillertalbahn 760 mm 1 ( teilweise 2) Diesel 1,88 km 36,7 km/h
S-Bahn Wien Stammstrecke 1435 mm 2 Elektro 1,56 km 33,6 km/h
Bruck/M. – Unzmarkt Regionalzug 1435 mm 2 (St.Michael 1) Elektro 7,6 km 66,3 km/h
REX 1435 mm 2 Elektro 8,4 km 76,4 km/h
Railjet 1435 mm 2 Elektro 21 km 88,4 km/h

Zwei wesentliche Kriterien unterscheiden die beiden aufgelisteten Schmalspurbahnen:

Erstens ist die zehn Prozent langsamere Zillertalbahn dank Halbstundentakt viel attraktiver als die schnellere Murtalbahn. Letztere bietet zwar prompte, pünktliche Anschlüsse von und zu den zweistündig fahrenden Raijets. Doch das ist nur ein kleines Marktsegment. Für mehr reicht der vorhandene Fuhrpark nicht. Denn politisches Ziel der Modernisierung vor 35 Jahren war rasche Kostensenkung. Ertragssteigerung durch Fahrplanverdichtung wurde nicht angestrebt. Beispielsweise dauerte es ein Jahrzehnt, bis die neuen, von Anfang an klaglos funktionierenden Triebwagen angemessen genutzt wurden.
Zweitens sind die Zillertaler Gemeinden Teilhaber ihrer Bahn. Dieses Gemeingut durch irreführende öffentliche Aussagen zu schädigen, wäre dort politischer Selbstmord.

7. Siehe Kapitel: “Ein unseriöses Positionspapier der Landesbahndirektion …“

8. Das „Ökonomische Prinzip“ ist wohl noch nicht zu den Wirtschaftskämmerern durchgedrungen. Und der Glaube, dass mit der Spurweite auch der Markt größer werde, erinnert an Voodoo.

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